Im Sommer 2010 reifte die Idee zu Kleinkind, Kunst & Klassik wenngleich noch völlig
unkonkret.
Sommer, Sonne, Wasser und die Farben Gelb, Blau, Grün
wurden Basisthema.
„Die Themen gehen fließend ineinander über, verbinden sich sozusagen:
- ImSommer ist es warm, da gehen die Menschen gerne ans Wasser.
- Hier finden sie Sand, ganz kleine und sehr große Steine, hier sieht man große und kleine Schiffe.
- Im Sommer ist der Himmel blau, das Wasser ist blau, die Bäume sind grün und derSand ist nicht ganz so gelb wie die Sonne. <
Über gezielte Aktivitäten werden die Themenblöcke intensiviert. Jedes Kind hat ein farblich anderes Handtuch und ein farblich andere Essgeschirr. Auch hier wiederholen sich die Farben und können
zugeordnet werden26.“
Zu dieser Zeit wusste ich nicht, wie weit die Kinder auf meine Angebote einsteigen
würden. Zunächst noch ohne konkrete Vorstellung begann ich mit dem Singen von
Kinderliedern zur Jahreszeit. Besonders intensiv beschäftigten wir uns mit dem Lied:
Wir schaukeln auf dem Wasser27.
Bewusst wurde auf eine Darbietung über elektronische Tonträger vermieden, um so den
natürlichen Charakter des gesungenen Kinderlieds zu erhalten und nicht durch eine
kommerzielle Interpretation zu prägen.
Vom Tonträger spielte ich den Kindern, zum täglichen Mittagessen ein Stück von Mozart
vor:
Die Zauberflöte: Der Vogelfänger28.
Das Stück ist leicht, frisch und sommerlich. Es eröffnet den geistigen Blick auf
Landschaften und Sphären, ohne direkt konkret zu sein.Parallel zum täglichen singen und lauschen von Musik präsentierte ich ein naiv
anmutendes Bild, das einen Fischkutter vor einem Südseestrand zeigt. Man erkennt Details
des Kutters, wie die hochgezogenen Netze. Die im Hintergrund liegende Insel wird von
Sand und ockerfarbenen Hütten bestimmt. Das Meer schillert ruhig und gefällig in
freundlichen Blautönen.
Auch ohne Aufforderung entdeckten und betrachteten die Kinder das Bild. Sie erkannten
Einzelheiten und wiesen mit den Fingern darauf. Mit zunehmendem Sprechvermögen
wurden Darstellungen auch erwähnt.
In jedem Fall muss die Tagespflegeperson auf das Beobachten näher eingehen. Mit einem
Kind auf dem Arm nähern wir uns dem Bild. Die Kinder lernen, dass sie ein solches Bild
„nur mit den Augen gucken“ dürfen. Anfassen dürfen sie es nicht. Sanft wird die Hand
zurückgezogen. Vielleicht betasten wir kurz und vorsichtig den Farbauftrag. Aber nie darf
ein Kind mit der ganzen Hand auf die Leinwand patschen. Sehr schnell gewinnen die
Kinder einen Respekt vor dem Gemälde, das sie als etwas Wertvolles und Besonderes
erleben.
– Realistisches Erleben von Darstellungen
Ein Fischkutter ist auf Dresdens Elbe eher selten. Um das Be-greifen des Bildes fernab der
Küste zu fundamentieren, diente die Fähre in Johannstadt als erlebbares Beispiel. Die Elbe
ist kein Meer, aber auch die Fähre schaukelt auf dem Wasser. Ihr Rumpf ist aus Eisen undsie tuckert hörbar durch den Fluss. Dieses Erlebnis wurde über die Zeit des Sommers
häufig wiederholt. Auch zunächst ängstliche Kinder freuten sich schließlich auf die
„Schifffahrt“ und konnten sich zunehmend frei auf den sich wiegenden Planken bewegen.
„Wir fahren mit der Fähre. Das Abenteuer mit einer Fähre die Elbe zu überqueren
ist der Höhepunkt einer zunächst sehr schwierigen Aktivität: Wir müssen die
Wegstrecke gehen, dabei Straßen überqueren, auf Radfahrer achten und eine Ampel
berücksichtigen. Auf der freien Strecke durch die Wiesen muss ein holpriges
Gefälle gemeistert werden, über stoppelige Wiesen wird gelaufen und schließlich
muss die Rampe zur Fähre diszipliniert überbrückt werden. Die Kinder lernen, sich
am Geländer festzuhalten und alleine von der Rampe auf die Fähre zu steigen. Hier
müssen sie sich ordentlich auf die Bank setzen und festhalten. Dabei muss am
Anfang manche Angst überwunden werden.“30
b) Variation: Freies Malen
Im Herbst 2010 tauchten plötzlich viele Krähen auf den Bäumen auf. Sie versammelten
sich vor unserem Fenster und sorgten täglich für Aufregung unter den Kindern. Wir
begannen Herbstlieder zu singen und diese musikalisch zu begleiten. Bei den gemütlichen
Runden am Tisch inspirierte uns:
das „Ballett der Küchlein in ihren Eierschalen“31.
Doch anders als im Sommer verbrachten wir jetzt zunehmend viel Zeit in den Räumen der
Tagespflege. Die Aktivitäten mussten sich verlagern. Angeregt durch die Krähen
entschloss ich mich zur plakativen Darstellung. Eine Staffelei und eine große Leinwand
(90 x 90 cm) gehörten fortan zum Inventar. Die Kinder lernten schnell, dass die Staffelei
nicht umgestoßen werden darf. Der Respekt vor Leinwänden als solche tat hier Wirkung,
und schließlich durften die Kleinen bei Umbaumaßnahmen helfen, denn die Staffelei hat
keinen festen Platz, sondern wird bei Bedarf in den Vordergrund gerückt.
Wenn nicht innerhalb der Betreuungszeit, weil die Kinder beispielsweise zu unruhig für
die Muße des Zuschauens waren, wurde das Bild in der Pause, bzw. nach Feierabendgemalt. Langsam wuchs die Darstellung einer imposanten Krähe. Die Kinder verfolgten
bewusst und unbewusst den gesamten Schaffensprozess – von der Skizze bis zum fertigen
Acryl-Ölbild.Bewusst habe ich die schweren Ölfarben nach der Tagespflege aufgetragen. So
aromatisierte der Leinöl-Geruch am nächsten Tag nur noch sehr dezent den gut gelüfteten
Raum. Aber wichtig: So riechen Farben, die von den großen Meistern genutzt werden. Vor
den Kindern pinselt und spachtelt es sich gut mit leichtflüchtigen Acrylfarben, die
trotzdem farblich kräftig und gut ineinander zu verarbeiten sind. Wie intensiv die Kinder
meine Art und Weise des Farbauftrags beobachtet hatten, stellte ich beim anschließenden
aktiven Malprozess fest.
Mit wasserlöslichen Kinder-Kaseinfarben bepinselten wir stabile Kartons zu einer
„Höhle“. Kaum den Pinsel in der Hand ahmten die Kleinen meine zuvor gesehenen
Bewegungen des Farbauftrags erstaunlich erkennbar nach.
c) Vom Bild zur bildenden Kunst
Wie erst würden die Kinder auf „richtige“ Kunst reagieren? Unübertroffen sind die großen
Meister der bildenden Künste. Kein Laie ist Imstande diese Farbkraft, das Leuchten und
die Ausstrahlung von berühmten Kunstwerken zu kopieren. Für einen Liebhaber stellt ein
Originalbild immer eine Krönung des Sehgenusses dar, die keine Reproduktion erreicht.
Doch gerade dieser feine Blick will erlernt sein, um nicht in der Flut derMassenproduktionen zu ersticken32. Der Weg in einen adäquaten Ausstellungsort – in ein
Museum, in eine Galerie – muss mit sehr kleinen Kindern jedoch gut geplant sein.
– Die langsame Heranführung an Materialien
Viele Meisterwerke sind aus natürlichen Materialien gefertigt. Die Kinder wollen
Kunstwerke anfassen, um diese Materialien zu fühlen, zu riechen und wenn eben möglich,
auch zu schmecken. Sie wollen sie mit allen Sinnen erfahren.
Genau das ist aber in einem Museum nicht möglich. Ein Bildungsbegleiter muss die
Kinder deshalb vor dem Besuch gut an einzelne Materialien heranführen. Auf diese Weise
wird das starke Bedürfnis nach sinnlicher Erfahrbarkeit an anderer Stelle befriedigt. Das
Kind kann nach einer solchen Erfahrung spürbar besser auf Betasten und Anfassen
verzichten.
Stein, Holz, Stoffe sind Materialien, die einfach Verwendung finden können.
– Wir sammeln Steine, Holz und andere brauchbaren Materialien in der Natur.
– Wir rühren aus Pigment, Quark und Sonnenblumenöl eine Kinderfarbe.
– Wir basteln Mobiles und „Jahreszeitentische33“ zur Dekoration.
– Wir bearbeiten Holz und Stein mit einfachen Mitteln (Schmirgelpapier, Feile für
ein Kind unter Aufsicht).
– Die Bildungsbegleiter fertigen kleine Rahmen und bespannen sie mit Wolle oder
Stoff.- Der Museumsbesuch
Gut vorbereitet und mit vielen Materialien vertraut, rückt der Museumsbesuch näher. Doch
bevor es überhaupt los geht, sollten die Kinder mit den zu erwartenden Bildern konfrontiert
werden. Dank einer Fotoerlaubnis konnten wir die ausgesuchten, wertvollen Gemälde
fotografieren und in gewünschte Größe ausdrucken. In manchen Fällen existieren auch
Poster, die im Museumsshop erhältlich sind. Diese Reproduktion dient dann als
Anschauungsobjekt. Sinnvoll ist es, an dieser Stelle auch die Eltern in den
Erkennungsprozess zu integrieren. Die Kinder bekommen eine Reproduktion in
Postkartengröße mit nach Hause, wo sie das Bild bestenfalls gut sichtbar aufhängen dürfen.
Jetzt kann auch im Elternhaus ein Dialog über das Dargestellte stattfinden. Möglicherweise
werden die Eltern auch animiert, mit dem Kind das Original im Museum zu besuchen.
Genau dieser Besuch ist der Höhepunkt am Ende einer mindestens vierwöchigen
Betrachtungszeit. Zugegebenermaßen ist es trotz der besten Vorbereitung nicht einfach,
mit einer fünfköpfigen Gruppe von Kleinkindern durch die bebilderten Hallen zu wandeln.
Je nach Anzahl von Kindern und Begleitpersonen nutzen wir öffentliche Verkehrsmittel
oder fahren mit dem Krippenwagen (siehe Fotoanhang). Allein der Weg ist Teil des
Abenteuers und dient als Vorbereitungszeit:„Wir besuchen jetzt das Bild des Dirigenten Schucht im Museum, den ihr vom Foto im
Spielzimmer kennt. Da müssen wir dann ganz vorsichtig und leise sein – das wisst ihr,
stimmt`s?“
Die Kinder werden die Frage bejahen und sich damit bewusst auf diese neue oder seltene –
auf jeden Fall besondere – Situation einstellen.
Ruhige Zurückhaltung auch vor jedem weiteren Handlungsschritt, dem immer eine
Erklärung vorausgeht:
„Das ist das Museum.“ – Wir bleiben stehen und schauen.
„Seht, wie groß und schwer die Tür ist. Wir erleben, wie sie sich alleine öffnet.
„Jetzt gehen wir zur Kasse.“ Der „Startschuss“ fällt, es geht los.
Bis wir in die Ausstellungsräume gelangen, durchlaufen wir viele verschiedene Schritte.
Wir müssen Treppen erklimmen, hören die hohen sphärischen Hallen, wittern den
besonderen Duft von Galerien und sehen bereits Pracht- und Kunstvolles an Wänden,
Decken und um uns herum. Noch können die Kinder lachen und laut reden.
Vor der Tür zur Ausstellung halten wir erneut inne:
„Jetzt sind wir da. Und jetzt müsst ihr ganz leise sein.“
Selbst die wildesten Burschen sind von der theatralischen Heranführung so beeindruckt,
dass sie zumindest für kurze Zeit fast ehrfürchtig durch die Ausstellungsräume gehen, den
Blick auf die imposanten Gemälde gerichtet und fast immer stumm vor Staunen. Diese
wichtige Zeit der Konzentration muss sinnvoll genutzt werden, denn sie dauert nicht lange
an. Deswegen steuert die kleine Gruppe Tageskinder unverzüglich das ausgesuchte
Kunstwerk an. Sobald ein Kind läuft oder sich von der Gruppe entfernen will, wird es mit
leisen, ruhigen Worten zurückgehalten.
Es ist ein besonderes Erlebnis, wenn die Kinder das Gemälde erkennen, das sie bisher nur
als Fotoreproduktion gesehen haben. Sie sehen nicht nur „ihr“ Bild – sie erkennen den
großen Unterschied zum Foto, da sie bereits Ölgemälde in der Tagespflege kennen gelerntSobald dieser vorbei ist, verlassen wir das Museum. Nach so viel Konzentration müssen
die kleinen Kinder jetzt unbedingt lachen, toben, laufen und mit dem ganzen Körper das
Erlebnis Museum verarbeiten.
d) Bewusste Strukturierung der eingesetzten Mittel
Unsere ersten Erfahrungen hatten alle Erwartungen übertroffen. Deswegen sollte das
Konzept zunehmend konkret überdisziplinär in alle Lebensbereiche des Kleinkindes
ausgebaut werden. Die Perfektionierung wird vermutlich an den Kapazitäten der
Kindertagespflege scheitern, aber nicht in der Quantität, vielmehr in der Qualität der
übergreifenden Maßnahmen liegt der Schlüssel zur synaptischen Effizienz34. Das Umfeld
sollte nicht durch die Aktivitätsprozesse völlig vereinnahmt werden. Vielmehr können
größtmöglich variable Einrichtungsgegenstände einer Kindertagespflege für Entspannungsorgen. „Abschalten“ ist wichtig. Wenn auch unbewusst, strengt jeder Lernprozess an. Die
Kinder brauchen den ständigen Wechsel zwischen Freispiel und einer offenen Anleitung
zu neuen Handlungsebenen.
· Anpassung der Umwelt an ein Bildungsprojekt
Nach dem Jahreswechsel starteten wir mit den Basisthemen:
Tiere, Zirkus, Karneval.
Wir besuchten den Zirkus Sarrasani über Tag und besorgten uns
– Zirkusplakate.
Als klassische Musikkomponente diente
– Camille Saint-Saëns‘ „Karneval der Tiere“
Und unsere gesungenen Lieder hatten jetzt das Thema Zirkus, Zoo und Tiere, zum
Beispiel:
Was müssen das für Bäume sein. Die Affen rasen durch den Wald. Die Löwin
Amanda. Ich bin ein dicker Tanzbär. Als unser Mops ein Möpschen war.Sitzelemente wurden zu einer „Arena“ aufgebaut. Manchmal wurden die Kinder zu
„Tigern und Löwen“ geschminkt, um dann durch Kriechtunnel zu robben und wie Löwen
im Zirkus vom Podest zu springen. Am Mittagstisch wurde dann auch „wie ein Löwe“
gegessen und gekaut(!)35, was selbst die hartnäckigsten „Mümmelchen“ motivierte.Diese Kombination aus Spiel, Aktion, kreativem Schaffen und Musik war so gelungen,
dass sie zur Karnevalszeit (Wintersonnen-Wende) für einen Elternabend zum Thema
wurde. In der „Arena“ wurden einige Szenen aus der musikalischen Suite gehört, es wurde
gemeinsam mit Eltern und Kindern musiziert und einige „Löwenhäppchen“ aus der
Vollwertküche gekostet36 (siehe Fotoanhang).