Wirklichkeit aus 2. Hand
Von der Wirkung des Fernsehens auf Kleinkinder
Inhalt
1. Einleitung
2. Fernsehen als Erfahrungsquelle
3. Der Unterschied zwischen lesen und fernsehen
4. Was geschieht in unserem Gehirn, wenn wir fernsehen?
5. Frustration durch Fernsehen
6. Vernachlässigung der analysierend-sprachlichen Fähigkeiten
7. Körperliche und soziale Schäden durch Fernsehkonsum
8. Umgang mit Apparaten
9. Beeinflussung sozialer Zusammenhänge durch die Entwicklung von Massenmedien
10. Prognose
1. Einleitung
Wirklichkeit ist etwas, was der Mensch schrittweise durch Wahrnehmung aufbaut. Piaget bezeichnet den Aufbau der Wirklichkeit, der in den ersten Lebensmonaten stattfindet, als „Auffassung von Dingen in Form substanzieller, permanenter und in ihrer Dimension konstanter Objekte“ , durch die die äußere Welt mittels Intelligenz konstruiert wird.
Das bedeutet, dass der ungeprägte Mensch das als Wirklichkeit erfährt, was er um sich herum wahrnimmt und was er nach und nach erkennen und unterscheiden lernt. Ein Kind beginnt im Alter zwischen 3 und sechs Monaten damit, das, was es sieht zu ergreifen und die Gegenstände, die es berührt, vor seine Augen zu bringen; kurz,, seine visuelle Welt mit seiner taktilen Welt zu koordinieren.
Wahrnehmungsaufbau ist sehr anschaulich, wenn man die Zeichnungen von Kleinkindern untersucht. Schrittweise wird der „Kopffüßler“ zum erkennbaren Abbild seines Menschen in seiner Komplexität, ausgestattet mit allen Gliedmaßen, den Augen, einer Nase, dem Mund und Ohren.
Bei dieser stufenweisen Aneinanderflechtung von Einzelheiten ist es gut zu verstehen, „das Kinder im Alter zwischen drei und acht Jahren bei Filmen und Fernsehbeiträgen eher Einzelnes als Zusammenhänge erkennen, und die jüngeren erleben häufig noch das Fernsehbild und die dort gezeigten Objekte als EINE Realität.“
Wirklichkeit aus zweiter Hand? Wirklichkeit aus der Hand der Filmemacher?
Inwieweit das Fernsehbild dem Kind als Wirklichkeit erscheint, welche Konsequenzen und Störungen sowie körperliche und psychische Schäden dadurch entstehen, dass Kinder einen Großteil des Tages vor dem Fernseher sitzen und damit in eine Scheinwelt hineinmanövriert werden oder mit Eindrücken überhäuft werden, soll Inhalt diese kleinen Referats sein.
2. Fernsehen als Erfahrungsquelle
Weil so viele von uns die Fernseherfahrung mit dem direkten Erleben der Welt verwechseln, bemerken wir nicht, dass das Erleben selbst zu einer einzigen Erfahrungsweise verengt und vereinheitlicht wurde: dem Fernsehen.“ (Jerry Mander 1979)
Die Diskussion zum Thema Kinder und Fernsehen hat im Laufe der Zeit einen Wandel durchlaufen. Nach ersten Warnungen von Pädagogen und Psychologen vor psychischen und physischen Folgeschäden, war Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre die Frage des Programmangebots für Kinder von größter Bedeutung.
Marie Winn und Jerry Mander, Forscher aus den USA, haben Ende der 70er Jahre damit begonnen, das Fernsehen als Erfahrungsquelle zu kritisieren. In Amerika verbringen die Vorschulkinder nach den verschiedenen Untersuchungen mindestens ein Drittel der Wachzeit vor dem Fernseher. Dagegen erscheint der durchschnittlichen Fernsehkonsum der Kinder in Deutschland noch recht gering. Doch ganz egal wie oft Kleinkinder fernsehen, es schadet ihnen immer, besagt der Konsenz einer kanadischen Studie aus dem Jahr 2010, die alle frühreren Untersuchungen nur bestätigt.
„Im Alter von zwei bis vier Jahren verzögerte jedes bisschen mehr Fernsehen die spätere Entwicklung“, sagt die Leiterin der Studie, Dr. Linda S. Pagani, Professorin für Psychosoziologie an der Université de Montréal und Mitarbeiterin am Forschungszentrum des CHU Sainte-Justine. Die Studie untersuchte insgesamt 1314 Kinder, die an einer Langzeitstudie über Umwelteinflüsse auf die Entwicklung von Kindern in Quebec teilnahmen. Die Eltern wurden befragt, wie viel Fernsehen ihre Kinder im Alter von neunundzwanzig beziehungsweise dreiundfünfzig Monaten sahen. Die Lehrer bewerteten die akademischen Leistungen ihrer Schüler, ihr psychosoziales Verhalten und ihr Gesundheitsbewusstsein. Der Body Mass Index (BMI) der Kinder wurde im Alter von zehn Jahren gemessen.
Erschwerend ist das oft nicht altersgerechte TV-Programm. Es ist vollkommen klar, dass weder das Werberahmenprogramm noch das Abendprogramm für Kinder produziert wurden oder sogar einen pädagogischen Wert haben.
Aber in Anbetracht der Störung von Entwicklungen bei Kleinkindern durch den TV-Konsum im allgemeinen hilft auch kein Kinderkanal !
3. Der Unterschied zwischen lesen und fernsehen
Sobald der Mensch das Lesen lernt, integriert er diesen Prozess vollständig in sein Leben. Die Worte eines Textes werden zur selbstständigen Existenz. Der Verstand transformiert abstrakte Symbole in Laute und die Laute wiederum in Worte.
Wichtig ist, sich zu vergegenwärtigen, dass beim Lesen das Wort nicht nur gehört wird, sondern dass zugleich auch Bilder hervorgerufen werden. Liest ein Mensch das Wort – HAUS -, so hört er dieses Wort vor seinem inneren Ohr und hat gleichzeitig das Bild eines Hauses vor Augen. Diese Bilder basieren auf tatsächlich erfahrenen, persönlichen Erfahrungen und spiegeln die eigenen individuellen Bedürfnissen wider. Durch diese Eigenschaft regt Lesen die Fantasie an und beflügelt so den Geist, sich aufzubauen.
• Beim Lesen kann der Mensch die Bilder in seinem Kopf selbst bestimmen.
• Beim Fernsehen sind Bilder und Gesprochenes schon vorgegeben.
• Akustische und visuelle Reize haben direkten Zugang zum Gehirn, man nennt dies Rezeptivität.
Wer durch Lesen gelernt hat, sich durch die im Gehirn ablaufenden , komplexen geistigen Abläufe zu konzentrieren, wird diese Konzentration auch mit vor den Bildschirm nehmen und das für sich Wichtige aus der Sendung ziehen, viele Informationsmuster jedoch gar nicht wahrnehmen.
Sinnvolles fernsehen hängt also mit Konzentrationsfähigkeit zusammen,
und diese wiederum ist von der Häufigkeit und Dauer nicht zu trennen, die ein Mensch fernsieht.
Jahrelanger Fernsehkonsum wirkt sich ungünstig auf die Fähigkeit aus, sich zu konzentrieren, also auch zu lesen und zu schreiben. Marie Winn weist auf Lehrer hin, die schon vor der Zeit unterrichteten, in der es einen Fernsehkonsum in unserem heutigen erheblichen Ausmaß nicht gab. So berichtet eine Lehrerin der ersten Grundschulklasse:
„Wenn ich den Kindern eine Geschichte vorlese, ohne ihnen die Bilder zu zeigen, dann klagen sie immer: „Ich sehe nichts.“ Ihre Aufmerksamkeit lässt bald nach. Sie beginnen miteinander zu reden oder herumzugehen. Ich muss wirklich arbeiten, um ihr Vorstellungsvermögen zu entwickeln. Ich sage ihnen, dass es nichts zu sehen gibt, dass die Geschichte aus meinem Mund herauskommt und dass sie sich selbst Bilder in ihrem „geistigen Auge“ machen können. Nach und nach bekommen sie etwas Übung, und es gelingt ihnen besser, sich etwas vorzustellen. Aber bevor es das Fernsehen gab, brauchten Kinder meines Wissens nicht zu lernen, sich etwas vorzustellen.“
Das, was diese Lehrerin berichtet, würde demnach soviel heißen, dass Kinder, wenn sie ausschließlich mit visuellen und zugleich akustischen Reizen konfrontiert werden, also niemals ihre eigene Fantasie brauchen, um sich Vorgänge bildlich vorzustellen, die Fähigkeit verlieren, fantasievoll zu denken!
Diese Kinder geraten außerstande, nichtvisuelle Erlebnisse zu begreifen.
Ein weiteres Phänomen, das den Unterschied zwischen lesen und fernsehen verdeutlicht, ist, dass Kinder, die ein Buch gelesen haben und danach die Verfilmung des Buchs sehen, sich die Figuren des Fernsehens immer so vorstellen, wie diese im TV dargestellt wurden. Die vorherige Vorstellung aus der Fantasie wird verdrängt.
Die Fernsehfiguren sind dominant. Marie Winn erklärt diese Tatsache folgendermaßen:
„Fernsehbilder machen keine komplexe symbolische Verwandlung durch. Der Verstand braucht während des Fernseherlebnissen nicht zu entschlüsseln und zu manipulieren.“
Eins ist sicher: Durch den Verlust der Fantasie werden Kinder ihrer Kreativität beraubt. Kreativität ist für den Menschen lebenswichtig. Wie soll ein Mensch mit den geringsten Problemen fertig werden, wenn seine Fantasie so eingeschränkt ist, dass er sich noch nicht einmal aus eigener Kraft Bilder vor Augen führen kann, die ihm durch Worte vermittelt werden sollen? „Züchten“ sich die Eltern der Fernsehgeneration manipulierbare, konsumorientierte, unselbstständige, realitätsfremde Kinder heran, deren Konzentration gerade so weit reicht, das Fernsehprogramm zu erlernen, die weder eigenen Spiele entwickeln können, um sich gemeinsam zu unterhalten, noch dem Unterricht in der Schule folgen können? Vor allem ist die Frage zu stellen, inwieweit die Psyche den Fantasieverlust verkraftet. Um auf diesen Punkt genauer einzugehen, ist es wichtig, den Vorgang in unserem Gehirn zu betrachten, der abläuft, wenn wir fernsehen.
4. Was geschieht in unserem Gehirn, wenn wir fernsehen?
Karin Neuschütz veröffentlichte in ihrem Buch: „Lieber spielen als fernsehen“, eine Untersuchung, die bereits in den 70er Jahren gemacht wurde.
Mittels Elektroden, die am Kopf befestigt wurden, hat man die Aktivität des Gehirns gemessen. Das Ergebnis war, dass sich die Gehirnwellen eines Menschen, das fernsieht, erheblich von Gehirnwellen eines lesenden Menschen unterscheiden.
Beim fernsehen wurden hauptsächlich Alpha-Wellen gemessen, die gewöhnlich Schlaf und allgemeine Entspannung kennzeichnen. Im wachen Zustand und speziell beim Lesen wurden hingegen Beta-Wellen gemessen. Beta-Wellen deuten auf eine aktive, konzentrierte Gehirntätigkeit hin. Weiter wurde festgestellt, dass es nicht der Inhalt des Programms ist, der die Alpha-Wellen verursacht, sonder das Medium Fernsehen als solches, denn selbst bei gerngesehenen, interessanten Sendungen überwogen noch immer die Alpha-Wellen. Der Übergang zwischen fernsehen und schlafen ist, aufgrund der Gleichartigkeit der Aktivität des Gehirns, sehr gering. Sehen kann man das z. B., dass Menschen häufig vor dem TV einschlafen, wenn sie nur zur Entspannung einer Sendung folgen.
Der tranceartige Zustand, in dem sich viele Kinder befinden, wenn sie fernsehen, lässt sich somit leicht erklären. Aber auch Erwachsene sind häufig vollkommen geistesabwesend. Bezeichnend ist eine Episode, die von Karin Neuschütz geschildert wird:
„Eine Freundin fuhr mit ihrem Mann im Wagen durch einen Villenvorort, wo sie Bekannte hatte. Durchs Fenster sahen sie ihren Freund beim fernsehen. Da schalteten sie sich auf die Funkfrequenz des Fernsehtons ein und riefen ihrem auf dem Sofa ausgestreckten Freund eine energische persönliche Mitteilung zu:
„Hallo Toni, alter Knabe, versumpf nicht völlig, denk ein bisschen selbst und tu` was Vernünftiges!“
Dem Ärmsten blieb fast das Herz stehen. Was man beim fernsehen am allerwenigsten erwartet, ist nämlich, persönlich angesprochen zu werden!“
5. Frustration durch fernsehen
Fernsehen ist frustrierend.
Unser Körper ist ständig zu Reaktionen bereit. Das gilt speziell für Kinder; sie leben das aus, was sie fühlen.
Beim fernsehen ist dieses Ausleben jedoch nicht möglich.
Der Reiz, den eine gezeigte Wiese auf das Kind ausübt ist, über diese Wiese zu laufen. Dies ist aber nichtmöglich, dass die Wiese nur ein Bild ist. Schlimmer noch es ist eine Aneinanderreihung von vielen Bildern in kurzer Folge.
Der ständige Wechsel der Impulse, nämlich, der Drang, etwas aktiv zu unternehmen und gleichzeitig diesen Drang zu unterbinden, da das Kind weiß, dass es in einem Zimmer vor dem TV-Gerät sitzt, bringt es in eine äußerst frustrierte Lage. Der Kind l lädt sich permanent mit Energien auf, die es nie abbaut. Fazit sind aggressive, nervöse Kinder. Die Medizin hat diesen Überschuss an Energie auf einen Namen gebracht: Hyperaktivität. Behandelt wird diese schwer erfassbare Krankheit in der Regel immer noch mit Psychopharmaka, Diät, Therapie und … Fernsehentzug (wenn überhaupt). Der Erfolg ist wechselhaft, teils, bedingt dadurch, dass die Kinder Beschäftigung erhalten, die sie vom Fernsehgerät abhalten, während vorher oft das Gegenteil der Fall war, nämlich dass Kinder mit dem Fernsehen beschäftigt wurden.
Mangelnde Beschäftigung mit Kindern, sowie Reizüberflutung durch die täglichen Erfahrungen im Leben und die schnelle Programmfolge des Fernsehers, müssen ausgeglichen werden, damit unsere Kinder ohne Schaden groß werden.
6. Vernachlässigung der analysierend-sprachlichen Fähigkeiten
Viele Kinder verbringen täglich bis zu acht Stunden vor dem Apparat.
Sie sitzen in abgedunkelten Zimmern und verfolgen wie in Trance stimm das Geschehen auf dem Bildschirm. Durch die visuelle Überreizung wird die linke Gehirnhälfte, welche für analysierend-sprachliche Denkfähigkeit zuständig ist, wie neurophysiologische Arbeiten ergaben, durch die Nichtnutzung in der Entwicklung gehemmt.
Das Gehirn entwickelt sich selbstverständlich nicht unabhängig von unserem Lebensstil. Viele Kinder wachsen fast ausschließlich vor dem Fernseher heran. Gerade seit der Entwicklung und Verbreitung der neuen Medien und der Reproduktionsmedien (Video, DVD etc.) sitzen viele Kinder schon (vor dem) beim Frühstück vor der „Glotze“.
Folge ist, dass nur räumlich-visuelle Fähigkeiten gefördert werden.
Durch den Verlust eines Großteils der analysierend-sprachlichen Fähigkeiten vermuten viele Wissenschaftler für die Zukunft eine „fernsehversklavte Volksmasse … die total bildabhängig, des Lesens und Schreibens nicht mächtig und leicht zu steuern sind.“
7. Körperliche und soziale Schäden durch Fernsehkonsum
Nachdem nun erkennbar ist, wie unser Gehirn und die Nerven auf Fernsehkonsum reagieren, sind Störungen geradezu unumgänglich. Neben der schon genannten Hyperaktivität, kann es durch zu viel fernsehen und durch mangelnde Beschäftigung mit dem Kind zu vielen anderen Schäden kommen. Die negativen Auswirkungen werden von den Eltern jedoch nur selten mit dem Fernsehkonsum in Verbindung gebracht.
Wenn die Kinder dann auch noch abends viel zu spät ins Bett gehen, sind sie am nächsten Morgen unkonzentriert, aggressiv, schläfrig, haben oft einen starren Blick, der dem beim fernsehgucken sehr ähnlich ist. Nicht selten sind auch körperliche Schäden eine Langzeitfolge, wie z.B. Wirbelversteifungen und Kreislaufbeschwerden.
Gravierender als körperliche Schäden (die immerhin noch oft bei den Vorsorgeuntersuchungen erkannt werden) sind soziale Schäden bei stark fernsehorientierten Kindern.
Diese Kinder spielen zunehmend weniger mit Altersgenossen. Die Isolation macht diese Kinder schließlich zusätzlich kontaktscheu und es treten bereits im Kindesalter Schwierigkeit mit der Kontaktaufnahme auf. Die Kinder haben nie gelernt die breite Palette der Dialoge zu üben.
Auch innerhalb der Familie wird der soziale Umgang immer stärker unterbunden. Gesellschaftsspiele werden seltener (bis gar nicht mehr) gespielt, es wird nicht musiziert, selbst das gemütliche Essen im Kreis der Familie wird nun durch den TV-Konsum gestört und isoliert den Menschen im Kreis der Familie durch gebanntes Starren auf den Bildschirm. Das Fernsehen bestimmt ein völlig eigenes Tempo. Entweder es wird eilig gegessen, damit man fernsehen kann, oder man isst (inzwischen alle Mahlzeiten) vor dem TV. Inzwischen hat sich ein riesiger Zweig der Ernährungsbranche sogar auf dieses Fehlverhalten eingestellt: Die Fast-Food-Industrie, die sich heute gerne Chilled-Food-Industrie nennt.
Immer wird die Kommunikation der einzelnen Familienmitglieder völlig gestört.
Manche Familien sind sogar völlig verstummt und kommentieren höchstens noch eine Talkshow.
Auch nach Beendigung des Abendprogramms geht man in der Regel wortlos auseinander. Es wird keine Gute-Nacht-Geschichte mehr erzählt oder gelesen, sondern man ist bleiern müde und kaum noch in der Lage, sich angeregt und munter zu unterhalten.
8. Umgang mit Apparaten
Falscher Umgang mit Medien bewirkt, dass immer mehr Menschen von einer Medien-Sucht betroffen sind, der so weit gehen kann, dass diese Menschen den Kontakt mit Apparaten dem mit Menschenvorziehen.
Kleinkinder kopieren das Verhalten der Eltern. Sie lernen daher auch sehr schnell den Umgang mit den Medien. Zusätzlich dient die Glotze auch noch als Babysitter, wenn die Eltern nicht schauen wollen oder können. Besonders beliebt ist diese Form der „Kinderberuhigung“, weil die Kinder tatsächlich stundenlang ruhig und wie gebannt vor dem Bildschirm sitzen.
Eine nicht mehr ganz neue und ebenso faszinierende Wirkung haben Computerspiele, die inzwischen sogar eigens für Kleinkinder konzipiert und „empfohlen“ werden (Teletubby, Babys-First-Computer etc.).
Ist es nicht viel wichtiger für einen Menschen in einer Gesellschaft von anderen Menschen heranzuwachsen? Stattdessen sitzen die Kinder vor Bildschirmen und „kommunizieren“ fast mehr mit ihnen. Sie leben und leiden an den Apparaten.
„Die entscheidende und eigentliche Wirkung des Fernsehens liegt“, so die Medienforscherin H. Sturm, „im Bereich der Emotion und Gefühle.“
Diese Wirkung ist aber nur schwer und begrenzt erfassbar. Wichtig für Kinder sind gleichbleibende Gefühlsbeziehungen, während die Bilder im Fernsehen rasch wechselnde und widersprüchliche Gefühlsbeziehungen liefern. Außerdem wird das Kind mit Gefühlen konfrontiert, die ihm aus dem wirklichen Leben unbekannt sind. Wenn bei Kleinkindern nicht gewährleistet ist, dass eine vertraute Person in Reichweite ist kann besonders bei einem Übermaß an Fernsehkonsum „eine Verzerrung des Wahrnehmungsvermögens für die Realität einsetzen, eine Verarmung mitmenschlicher Kontakte.“
Eine große Unsicherheit kann Folge sein.
Die Unsicherheit ist unter anderem bedingt durch die stetigen Ängste, die die raschfolgende, unverstandene Programmfolge mit sich bringt.
Der mitmenschliche Kontakt wird auch noch durch weitere Faktoren unterbunden. Gefühlsmäßige Verstörung durch überfordernde Bilder, für die das Kind noch viel zu klein ist. Solche Bilder lassen sich kaum vermeiden – nur konsequenter und kontrollierter TV-Konsum garantiert, dass z.B. keine Nachrichtensendungen vor die Augen des kleinen Menschen kommen.
Bei kleinen Kindern signalisieren Angst und Aggression oft, dass sie unverarbeitete Bilder in sich tragen, denen zusätzlich noch der „Kanal“ fehlt, sprich die Blockadelösung durch Bewegung.
Unsicherheit, Angst und Aggression – sind das nicht die Gründe für problematisches soziales Verhalten, die von Pädagogen oft als Zeichen unserer Zeit genannt werden.
9. Beeinflussung sozialer Zusammenhänge durch die Entwicklung von Massenmedien
In seinem Buch „Das Verschwinden der Kindheit“ stellt Neil Postman die Behauptung auf, dass schon durch die Entwicklung des ersten elektromagnetischen Schreibtelegraphen im Jahr 1837 durch Morse ein Wandel der Menschheit durch Massenmedien stattgefunden hat.
Nach der prägenden Zeit der Aufklärung brachte das 19. Jahrhundert die großen Reformen. Johann Heinrich Pestalozzi (1746 – 1827) bereitete den Weg für pädagogische Theorien, Darwins Werk über den Ursprung der Arten gegeben, schockierte durch den naturwissenschaftlichen Nachweis der Entstehung von Leben, der im direkten Konflikt zur kirchlichen Theorie stand. Über Pestalozzis und Darwins Gedanken konnte man jedoch diskutieren, Morse hingegen verpackte zum ersten Mal Gedanken in Technik und leitete sie einfach weiter, ohne dass sie bildhaft konkret und Gegenstand einer Diskussion wurden.
Marshall Mc Luhan konkretisierte das Problem 120Jahre später: „Wenn der Mensch in einer elektronischen Umwelt lebt, wird sein Leben umgeformt und seine Identität verschmilzt mit dem kollektiven Ganzen. Er wird zum „Massenmenschen“ . Der Massenmensch ist ein Phänomen der Geschwindigkeit von Elektrizität und nicht eines der physischen Quantität.
Als Phänomen nahm man den „Massenmenschen“ zum ersten Mal im Radiozeitalter als potentiell manipulierbar war war. Hitler nutze den Volksempfänger und später besonders auch die filmische Selbstdarstellung (Leni Riefenstahl) zu hochwirksamen Propagandazwecken. Die Keimzelle dieser neuen Propagandamethode war der elektromagnetische Telegraph.
(Ortega, Krakauer etc.).
Das Fernsehen veränderte die Möglichkeit der Informationsübermittlung von Gesprochenem zum bildhaft Dargestellten – vom Intelektuellen zum Emotionalen. Das merkt man besonders an der naiven Kritik der meisten Fernsehzuschauer, weil man nicht mehr, wie Radiokonsum, auf das Gesprochene hört, sondern nun plötzlich das optische Erscheinungsbild des Sprechers in die Waagschale legt. Das Gesprochene verliert an Relevanz.
Sprache ist eine Abstraktion von Erfahrungen, während Bilder konkrete Darstellungen von Erfahrungen sind.
Rudolf Arnheim: „Wer beschreiben will, muss aus dem Besonderen das Allgemeine ziehen, Begriffe bilden, vergleichen und denken. Wo aber bloß mit dem Finger gezeigt werden braucht, da verstummt der Mund, da hält die schreibende, zeichnende Hand ein, da verkümmert der Geist.“
Die große Gefahr an der Verkümmerung des Abstraktionsvermögens ist die Neigung des „Konsumenten“ zur plumpen Analogisierung. Anstelle von kritischer Eigenmeinung tendiert diese Gruppe von Menschen zur Verallgemeinerungen, die wiederum bewusst medial gelenkt werden.
Postman begründet seine These vom Verschwinden der Kindheit, indem er auf die Geschichte der Informationsvermittlung verweist. Vor der Erfindung des Alphabets waren schriftliche Informationen nur durch eine große Anzahl von Schriftzeichen möglich. Da es nur wenigen gelang, diese Schriftzeichen zu erlernen, erlangten diese eine gewisse Macht und Monopolstellung. Mit der Erfindung des Alphabets hatte plötzliche ein größere Anzahl von Menschen die Möglichkeit zu lesen und somit Informationen zu erhalten, wodurch das Wissensmonopol der Elite zerbrach. Von diesem Zeitpunkt an gab es nur noch dir Trennung zwischen Kindern und Erwachsenen.. Lediglich den Kindern war die Möglichkeit zu lesen noch nicht gegeben, da sie dies erst in der Schule erlernen mussten.
Mittlerweile ist es im Zeitalter des Fernsehns jedoch so weit gekommen, dass auch Kinder durch das Fernsehen Zugang zu Informationen haben, die sie sonst erst durch das Lesen erlagen könnten.
Fernsehen kann jeder Mensch. Das flimmernde Bild fasziniert Kinder aber derart, dass sie nicht erst, wie z. B. in der Schule, lernen müssen, ruhig zu sitzen. Sie sitzen und sitzen und erleiden stumm, als aktiv zu ERLEBEN.
Für die Entwicklung des Kinds ist das Erlernen von Interaktionsformen, von gelebter Umwelt, von aktivem Erkennen und … von Sprache ! … unumgängliche Voraussetzung dafür, integriertes Mitglied seiner gesellschaftlichen Umwelt zu werden . Das Kind muss sich mit Hilfe der Interaktion – vor allem durch Sprache – seine Umwelt tätig aneignen. Das Fernsehen beeinträchtigt – ja es verhindert diesen Prozess.
10. Prognose
Eine mögliche Prognose lässt sich vielleicht anhand von Tests der Gehirnfunktionen bei Alkoholikern aufstellen.
Bei dem Versucht, eine Gesamtgruppenbezeichnung für Alkoholiker zu finden, stieß man auf eine Gemeinsamkeit, ein Charakter-Syndrom, das Antisoziale Persönlichkeit (ASP) genannt wird. Antisoziale Persönlichkeiten sind Personen mit den Charaktereigenschaften: Aufmerksamkeit heischend, charmant, rebellisch, impulsiv, egozentrisch und anfällig für den Missbrauch von Drogen.
Wenn man nun das Medium Fernsehen, so wie Marie Winn, als eine Droge bezeichnet, ist eine Antisoziale Persönlichkeit bei Missbrauch vorgegeben. Speziell bei Kindern, die den Umgang mit dem Medium noch nicht erlernt haben, wirkt Fernsehen oft wie eine Droge.
Vergleichend zu dieser Hypothese lerassen sich die Ergenbnisse von Tests heranziehen:
Bei einer Reihe elektrozephalographischer Studien (EEG) beschäftigte man sich mit evozierten Potentialen (vorgeladenem Leistungsvermögen). Dabei werden einzelne Hirnströme als Reaktion auf einen speziellen Reiz gemessen. Es wurden die elektrische Spannung einer p3-Welle gemessen. Hierbei handelt es sich um eine gut erforschte
Gehirnwille, die in Beziehung zur Aufmerksamkeit und zum Lernen gesetzt wurde.
Bei Alkoholikern tritt dies Welle nur schwach, wenn überhaupt auf.
Aber auch beim fernsehen sind sie kaum vorhanden. Dies ist ein wichtiger Hinweis dafür, das Fernsehmissbrauch wie eine Droge wirkt. Ebenso weisen der tranceartige Zustand vieler kleiner Kinder (und Erwachsener) und die Konzentration der Alphawellen auf einen Vergleich mit Drogen hin.
Weitere Untersuchungen beschäftigen sich mit neurophysiologischen Arbeiten. Mittels Tests von motorischen, räumlichen und der analythischen Problemlösefähigkeiten wurde auf Hirnfunktionen geschlossen. Diese Gehirnfurnktionen geschehen in der linken Gehirnhäfte, die genau die Gehirnhäfte ist, die beim fernsehen vernachlässigt wird.
Alkoholiker schnitten bei den Tests dieser Fähigkeiten schlecht ab, was eine Störung der Funktion der linken Gehirnhälfte beweist. Alkoholiker zerstören den Teil des Gehirns, der durch dauerhaftes Fernsehen bei Kindern nicht ausreichend entwickelt wird.
Häufig wird festgestellt, das „Antisoziale Persönlichkeiten“ schon in der Familie festgelegt werden, Es wurde bemerkt, das Menschen, die in ihrer Kindheit unter Konzentrationsschwierigkeiten litten, sich in der Relation zu anderen Trinkern, früher dem Alkohol zuwenden. Sie fallen häufig unter die Kategorie der sogenannten „sozialen Trinker“. Soziale Trinker oft Menschen, die durch den Alkohol erst befähigt werden, in Gemeinschaft zu existieren, die an Kontaktschwierigkeiten in den verschiedensten Ausprägungen leiden. Kontaktschwierigkeiten sind genau die Probleme, die unsere Kinder haben werden, wenn sie nur von Apparaten unterhalten werden und auch nur noch den Kontakt zu den Bildschirmen wünschen. Wie hoch die späteren Auswirkungen eines gegenwärtigen Fernsehmissbrauchs sein werden, in welcher Vielfalt psychische – und physische Störungen auftreten und wie diese sich auf die Gesamtbevölkerung auswirken könnten, ist bis heute nicht erkannt.
Fest steht, dass wir Kinder einer natürlichen Entwicklung berauben und etwas derartig Einschneidendes kann nicht ohne Konsequenzen bleiben.
Dieser kleine Einblick berücksichtigt noch nicht die neuen Medien, wie das Internet sowie Computerspielen und –programmen und den damit verbundenen Möglichkeiten und Risiken eines ganz neuen Medienmissbrauchs, der neuen Untersuchungen nach noch viel gravierendere Auswirkungen hat, als der TV-Konsum, bei dem das Programm immerhin einer staatlichen Zensur unterliegt.